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Der Baum des Lebens „Matapalo“ (Würgefeige) in Ecuador

Bäume sind wichtig für den Boden, für das Wasser und die Luft, aber auch für unzählige Lebewesen, die dort klettern, hängen, springen, schlafen, essen, leben oder sich einfach auf den starken Ästen ausruhen. Eine Welt ohne Bäume wäre eine tote Welt.

Der Baum, in dem sich am meisten Kreaturen von der Baumkrone bis zu den knorrigen Ästen und dem ineinander verflochtenen Wurzelwerk aufhalten, ist in Ecuador der "Matapalo" (Würgefeige, engl. Strangler Fig Tree, wissenschaftlich Ficus aurea) Er zählt zu den Maulbeergewächsen.

Die Würgefeige entwickelt sich unspektakulär: Im Kronendach wird von einem fruchtfressenden Vogel, Affen oder einer Fledermaus Exkrement der Würgefeige hinterlassen. Der Samen fällt dann in eine Astgabel oder Baumhöhle. Wenn die Bedingungen es zulassen, beginnt der Samen zu keimen. Anfangs lebt die junge Feige also als Epiphyt (Aufsitzerpflanze), doch das ändert sich bald, denn sie beginnt Luftwurzeln in Richtung Waldboden zu senden - manche davon noch frei in der Luft schwingend, andere direkt entlang des Stammes.

Der Anfang vom Ende für den Wirtsbaum

Das hat natürlich Folgen für den Wirtsbaum. Dessen Stamm wird durch das enge Geflecht der Feige mit der Zeit regelrecht stranguliert, die Leitgefäße werden abgeschnürt und als ob dies nicht schon genug wäre, werden dessen Blätter von der zwischenzeitlich mächtig gewachsenen Krone der Feige beschattet und verdrängt.

So stirbt der Wirtsbaum einen langsamen sicheren Tod, der sich über Jahre hinziehen kann. Unterdessen ist das Geflecht der Feige so dicht und haltbar geworden, dass sie auch ohne Stütze wie ein Korsett den Wirtsbaum umschließt und ohne diesen auskommen kann. Nach mehreren Jahren verengt die Würgefeige ihr Geflecht um den Gastgeberbaum, tötet ihn und ersetzt ihn vollständig. Ihr "Stamm" ist deswegen innen hohl.

Es ist kein Zufall, dass Würgefeigen als mystische Geschöpfe für Geschichten und Legenden dienen und in diesen mächtige Wesen darstellen, die weltweit Respekt bei verschiedenen Kulturen hervorrufen.

Die Früchte der Würgefeige sind fleischige Kirschen, die mit Vorliebe von großen und kleinen Vögeln, aber auch von Säugetieren gefressen werden. Die Tentakel der Würgefeige, die sich um den ursprünglichen Stamm zusammenschließen um ihn schließlich erdrosseln, bieten unzählige Lebensnischen, das perfekte Verstecke für alle Arten von Kreaturen. Bei allem Leben, was er gewährt und erhält, ist die Würgefeige, auch Killer Tree genannt, vielleicht das beste Beispiel für den "Baum des Lebens" im tropischen Regenwald.

Was für ein eigenartiger Baum, der sein Leben auf den Wipfeln anderer Bäume beginnt. Natürlich müsste ein Baum vom Erdboden aus wachsen.... und die überwiegende Mehrheit der Bäume im tropischen Regenwald tun dies auch.

Einer der beeindruckendsten Aspekte dieser hochwachsenden Baumart, dessen Stamm wie Wolkenkratzer aus dem Dschungel aufragt, sind die riesigen Wurzeln, die ihn tragen (siehe Foto).

Der Mensch im Vergleich ist wie eine Ameise mit einem Baumriesen, dessen Wurzeln wie immense Naturmauern sind. Sie benötigen den Boden nicht, um Nahrung aufzunehmen (was im Widerspruch zu allem steht, was wir in der Schule gelernt haben), und deshalb sind die Wurzeln freigelegt; sie sind Wesen, die keine Nährstoffe aus dem Dschungel verschwenden, sie atmen wie Riesen und stoßen Sauerstoff in jeden Winkel des Planeten aus.

Ein Baum, ein ganzer Planet

Somit ist jeder Baum des Tropenwaldes ein eigener Mikrokosmos. Vom Boden aus, wo seine Wurzeln über den Stamm und die Baumkrone gen Himmel streben, um die Sonne zu suchen. Ganze Pflanzengemeinden klettern den Stamm bis in die Äste hinauf, sie bilden somit eine Querachse des Lebens. Der Stamm wird in der Regel durch eine große mikroskopische Welt aller Arten von Pilzen, Flechten und Algen bedeckt. Diese kleinen Kreaturen, die dem oberflächlichen Betrachter als einfache Flecken erscheinen, ziehen prähistorische wirbellose Tiere und Insekten an, die wir entdecken können, aber auch unzählige mikroskopisch kleine Lebewesen. Amphibien, vor allem Baumfrösche, die als agile Kletterer auf der Suche nach Insekten die prächtigen Stämme bis in das Astwerk auf der Suche nach getarnten Insekten klettern, im Wettbewerb mit Spinnen und deren Netze sowie mit Schlangen, die sich das Futter in der Höhe suchen.

Die Bäume bilden ein einzigartiges eigenes Ökosystem und dienen Tausenden von Arten aller Größen, Farben und taxonomischen Gruppen als Heim, Nahrung, Schutz und Lebensraum. Die Geckos (Eidechsen) verbringen hier ihre Zeit damit, um zu fressen und sich zu paaren, während Schlangen im Blattwerk ruhen oder auf Beute lauern. Der Stamm und die Zweige des Baumes sind immer mit vielen Arten von Epiphyten geschmückt (Luftwurzler), die in den oberen Stockwerken des Baumes ihren Vorteil finden, um Nährstoffe und Feuchtigkeit aufzunehmen: Bromelien und verführerisch duftende Orchideen bilden ein einzigartiges Ambiente. Mit ihrem süßen Geruch ziehen die Luftwurzler Blüten Bienen und Wespen an, um von ihrer Bestäubung zu profitieren. Die Blüten und Pflanzen sind ebenfalls Wohnraum für Frösche und Spinnen und sogar für einige Krebsarten.

Auch Reben und Lianen haben ihren Platz in der majestätischen Welt der Bäume, sie hängen dekorativ hinab bis zum Waldboden. Säugetiere sind treue Bewohner der Zweige und Baumstämme: verschiedene Affenarten, Faultiere, Agutis, Gürteltiere, Füchse, Ratten und Mäuse, und gelegentliche Tayras und Nasenbären. Und nicht zu vergessen die vielen lautstarken Vogelarten, die Früchte fressen oder die Raubtiere, die sich im Schutz der Blätter verstecken.

Der Regenwald ist eine wahre Wunderwelt und, wie in dem Buch, in dem Alicia mit Raupen spricht und alles auf dem Kopf steht, gibt es einen Baum, der nicht aus dem Boden wächst, sondern von den Baumwipfeln abwärts: die Würgefeige (Matapalo), ein faszinierendes Beispiel für die Natur, in sich verschlungen und reich an Ressourcen.

 

Redakteur Ralph Sommer, Quelle: englischsprachige Zeitschrift Ñan/Ecuador, María Cristina Miranda